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Verraeter an der nationalen Sache?

Aus der serbischen Kirche werden Stimmen gegen den Krieg im Kosovo laut

von Klaus Wilkens

Im Kosovo herrscht Krieg zwischen der Regierung Milosevic und der Kosovo-Befreiungsarmee. Welche Haltung nimmt die serbische orthodoxe Kirche dabei ein? Fuer die Konferenz Europaeischer Kirchen, der die serbische Kirche angehoert, haben Ende Juli und Anfang August 1998 der Daene Karsten Fledelius, Schwester Maria Rule aus London und Klaus Wilkens aus Deutschland den Kosovo, Belgrad und Montenegro besucht. Klaus Wilkens hat den Eindruck gewonnen, dass die Geistlichen, die gegen den Nationalismus und fuer ein friedliches Zusammenleben der Voelker eintreten, in der serbischen Kirche an Einfluss gewinnen.

Die Szene koennte kaum friedlicher sein: Auf einer Terrasse des altehrwuerdigen Klosters Visoki Decani am Fusse der Gebirgskette, die den Kosovo von Albanien trennt, serviert uns der Moench Sava Janjic tuerkischen Kaffee und einen Traubenschnaps. Die kuehle Brise von den Bergen ist angenehm nach der Hitze des Tages. Diese abgelegene Klosteranlage ist wie die vielen anderen Kloester im Kosovo ein Zeugnis dafuer, dass das Amselfeld, das Kosovo polje, die Seele der orthodoxen Kirche Serbiens ist. Der Gruender des Klosters, Koenig Stefan Urosh III., liegt hier bestattet; unter seinem Sohn, Koenig Stefan Dushan "dem Maechtigen", erlebte das serbische Koenigreich seine groesste Macht und Ausdehnung, bis die Serben 1389 auf dem Amselfeld von den Tuerken vernichtend geschlagen wurden.

Als Geschuetzdonner von Panzerkanonen aus dem acht Kilometer entfernten Junik, wo sich Einheiten der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK] noch gehalten haben, zu uns herueberhallt, holt uns die Gegenwart wieder ein. Sie sieht fuer Decani und Seine Umgebung duester und hoffnungslos aus. Zwischen den hier lebenden Kosovo-Albanern und Serben, berichtet Bruder Sava, habe schon eine undurchdringliche Mauer des Schweigens und des Misstrauens gestanden, als er vor sechs Jahren hierher gekommen sei. Die Spannungen haetten dann staendig zugenommen. 1996 habe die UCK hier erstmals Anschlaege und Ueberfaelle veruebt.

Bruder Sava verhehlt nicht, dass der wachsende Widerstand der Kosovo-Albaner nicht zuletzt von der brutalen Unterdrueckungspolitik der Regierung Milosevic provoziert worden ist, die dem Kosovo 1989 den Autonomie-Status aberkannt hat. Doch vor drei Monaten haetten dann die Albaner die Serben in den benachbarten Doerfern mit schweren Drohungen, Angriffen und Mordanschlaegen von ihren Hoefen vertrieben. Kosovo-Albaner haetten die gesamte Umgebung "ethnisch gesaeubert". Als dann die UCK Ende Mai und Anfang Juni die Verbindungsstrassen von Decani nach Pec und nach Djakovica besetzt und blockiert habe, erklaert Bruder Sava, haetten serbische Sondereinheiten die Stadt Decani erobert, weil sie - wie die Serben behaupteten - ein Stuetzpunkt der UCK und ein Depot fuer den Waffenschmuggel aus Albanien gewesen sei.

Heute liegt das Kloster neben einer Geisterstadt

Das Ergebnis dieser Militaeraktion haben wir auf der Fahrt hierher sehen koennen: Die Stadt, in der einmal 6000 Menschen gelebt haben - 90 Prozent davon Kosovo-Albaner - , ist nun eine Geisterstadt. Ausser den serbischen Militaers, die sich hinter dicken Sandsack-Waellen verschanzt haben, ist hier kein Mensch zusehen. Viele Haeuser sind zerschossen oder ausgebrannt, alle Geschaefte zerstoert und gepluendert, die Tueren der Restaurants stehen offen, das Mobiliar ist zertruemmert, und die Gardinen wehen durch die geborstenen Fenster.

Das Kloster war waehrend der Strassenblockade und der Kaempfe von der Aussenwelt total abgeschnitten. Die 21 ueberwiegend jungen Moenche, die Anfang der neunziger Jahre hierher gekommen sind, um sich zu einer neuen kloesterlichen Bruderschaft zusammenzufinden, haben sich waehrend der Kaempfe immer wieder in der Klosterkirche versammelt und gebetet. Aber sie haben es dabei nicht bewenden lassen: Sobald die Schiessereien nachliessen, sind sie in den Ort und seine Umgebung gezogen und haben die zurueckgebliebenen Serben aufgesucht, aber auch die wenigen Albaner, die nicht gefluechtet waren und sich veraengstigt in ihren Haeusern verkrochen hatten. Woche fuer Woche haben sie beide Gruppen mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt. Die Mittel fuer diese Fluechtlingsarbeit flossen dem Kloster aus dem ganzen Land zu, nachdem es sich mit mehreren Hilferufen an die Oeffentlichkeit gewandt hatte. Unter den eifrigsten Foerderern findet sich auch eine Frau aus Belgrad, die der Glaubensgemeinschaft der Pfingstler angehoert. "Eine nicht eben typische Kooperation fuer eine orthodoxe Einrichtung", schmunzelt Bruder Sava.

Mit ihrem entschlossenen Eintreten fuer Serben und Albaner sind die Moenche von Decani zwischen die Fronten geraten. So streuen radikale Kreise der Kosovo-Albaner das Geruecht, das Kloster diene paramilitaerischen Einheiten der Serben als Stuetzpunkt und Basislager. "Fuer viele Serben sind wir demgegenueber Verraeter an der gemeinsamen nationalen Sache", weiss Bruder Sava. Ganz neue Beziehungen haben sich jedoch zu den albanischen Gruppen ergeben, die vom Kloster regelmaessig mit Hilfsguetern versorgt werden.

Davon koennen wir uns am naechsten Tag ueberzeugen. Nach stundenlangen Verhandlungen mit dem serbischen Leiter der provisorischen Stadtverwaltung bekommen wir die Gelegenheit, im Ort gebliebene Albaner aufzusuchen. Diese Menschen haben die Signale, die vom Kloster ausgegangen sind, gehoert und verstanden. Ein aelterer Mann, der zusammen mit seinen bettlaegerigen, ueber 90 Jahre alten Eltern hiergeblieben ist und inzwischen zahlreiche albanische Fluechtlinge bei sich aufgenommen hat, sagt: "Die Moenche haben uns Mut gegeben weiterzuleben", und er fuegt hinzu: "Ich bete jeden Abend zu Allah, dass er nicht vergisst, was sie fuer uns getan haben."

Mit ihrem unparteiischen Hilfsdienst folgen die Moenche von Decani nicht nur dem Gebot der christlichen Naechstenliebe, sondern sie verfolgen damit auch friedenspolitische Ziele. "Wir moechten die Albaner zum Bleiben ermutigen", sagt Sava, und das heisst: Das Kloster soll jedweder "Saeuberungspolitik" in dieser Region entgegenwirken.

Sava und seine Klosterbrueder nehmen eine klare und entschiedene Haltung zum Kosovo-Konflikt ein. "Wir leben nicht zur Zeit von Koenig Dushan und auch nicht mehr im 19.Jahrhundert, das mit der europaeischen Romantik auch den Nationalismus hervorgebracht hat. Mit nationalistischen Traeumen und nationalistischen Parolen koennen wir die Konflikte unserer Tage nicht bewaeltigen", sagt der Moench. Auch das Kosovo-Problem sei nicht mit einer nationalistischen Politik, nicht mit neuen Grenzen und einem neuen Staat zu loesen. Hier gehe es nicht um eine territoriale Neuordnung, sondern um eine Demokratisierung, die ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Kosovo-Albanern und Serben unter Achtung der Menschenrechte zum Ziel hat. Damit erteilt er freilich auch dem Draengen der Kosovo-Albaner auf eine Losloesung des Kosovo von Serbien, auf einen unabhaengigen Staat, eine klare Absage. Nachdenklich setzt er hinzu: "Es gibt auch viele Serben, die den Staat, in dem sie leben, nicht lieben koennen." Fuer ihn steht fest, dass die Demokratisierung des Kosovo nur zu leisten ist, wenn sich Serbien insgesamt oeffnet.

Toleranz auf beiden Seiten ist noetig

Das sagt er nicht nur den kirchlichen Vertretern aus Westeuropa. In einem offenen Brief an die groesste albanische Tageszeitung des Kosovo, die "Koha Ditore", hat er einige Wochen vorher geschrieben: "Auf dem Balkan und vor allem in unserer Region ist das Verstaendnis von Geschichte, Religion und Kultur belastet mit romantischen Mythen, unrealistischen Ideen und aggressiven Methoden. Darum herrscht unter uns heute so wenig Toleranz, gegenseitiger Respekt und Friede.... Die Verschmelzung von Nation und Religion, die zu manchen Zeiten der Geschichte ihre Berechtigung gehabt haben mag, hat die universalen spirituellen und missionarischen Werte verkuemmern lassen und verengt, so dass die Gueltigkeit dieser Werte immer nur auf ein Volk oder eine ethnische Gruppe beschraenkt blieb.... Es ist darum eine dringliche Verpflichtung, dass wir alle daran mitwirken, ein politisches und soziales Milieu zu schaffen, in dem autokratische, repressive Regime und militante Ideologien ein fuer allemal der Vergangenheit angehoeren."

Fuer wen spricht dieser Mann? Bevor er sich entschied, ein serbisch-orthodoxer Moench zu werden, hat Bruder Sava englische Literatur studiert; er spricht fliessend Englisch, verfuegt in seiner Klosterzelle ueber alle Moeglichkeiten der modernen Telekommunikation und gestaltet von dort aus professionell die Website des Klosters mit einer aktuellen Berichterstattung aus Decani. Sava Janjic ist keine Randerscheinung in seiner Kirche. Er ist der Sekretaer des serbisch-orthodoxen Bischofs der Dioezese Raska und Prizren im Kosovo, des Bischofs Artemije, den er als seinen geistlichen Ziehvater bezeichnet. Bischof Artemije hat im Kosovo-Konflikt wiederholt und oeffentlich genau die Position bezogen, die Sava uns gegenueber erlaeutert hat.

Offensichtlich hat das bis in die Leitung dieser Kirche Wirkung gehabt: In einer oeffentlichen Erklaerung des Heiligen Synods der serbischen orthodoxen Kirche vom 9.Juli 1998 heisst es, dass die Probleme des Kosovo "durch einen Dialag ohne Vorbedingungen mit friedlichen und demokratischen Mitteln" geloest werden muessen. "Jede Form der Diskriminierung aus religioesen oder ethnischen Gruenden wie auch jede Art der Unterdrueckung" wird darin scharf verurteilt, und die Buerger dieses Landstrichs werden "aufgerufen, tolerant zu sein und die Rechte eines jeden Menschen zu achten".

Der Islam wird als Feindbild missbraucht

Diese Saetze des Heiligen Synods sind als klare Absage an nationalistische und ethnozentrische Denkweisen gerade auch in den eigenen Reihen zu verstehen. Wir haben auf unserer Reise solche Stimmen auch aus dem Mund prominenter serbisch-orthodoxer Kirchenfuehrer gehoert. Sie sehen den Grund des Kosovo-Problems im Islam und sind ueberzeugt, dass es sich dabei nicht um eine Religion, sondern um eine aggressive Politik handelt, die auf die Vernichtung von Juden und Christen aus ist und deren Folgen man in einem Land wie Algerien studieren kann. So aeusserte sich zum Beispiel Bischof Stefan in dem Ort Zica in Zentralserbien. Ohne Frage ist dieses Feindbild vom muslimischen Kosovo-Albaner geeignet, gewaltsamen "Loesungen" im Kosovo den Weg zu bereiten.

Immer wieder aber sind wir auf Hinweise gestossen, dass in der serbischen Bevoelkerung die Zahl derer schrumpft, die solche nationalistischen Parolen mittragen. So aeusserten sich zwei junge serbische Frauen, die Zeuge unserer Gespraeche mit konservativen serbisch-orthodoxen Kirchenfuehrern waren, unabhaengig voneinander "schockiert" oder "traurig" darueber, dass hier "Hass gesaet" und ein Bild von der Rolle des serbischen Volkes gezeichnet werde, in dem sie sich nicht wiedererkennen koennten. Und von einem Chirurgen des Krankenhauses in Pristina hoerten wir, dass er immer wieder junge serbische Soldaten behandeln muss, die sich mit ihren Schusswaffen selbst verletzt und verstuemmelt haben, um dem Krieg im Kosovo zu entkommen. Es ist ganz offensichtlich, dass nationalistische Tiraden in Serbien nicht mehr ausreichen, um die Kriegsmuedigkeit des Volkes aufzufangen.

"Sie muessen wissen", hatte uns Sava gesagt, "dass es heute zwei Serbien gibt: Das der Vergangenheit, der Atheisten, die unter Berufung auf Nationalismus, Tradition und die Orthodoxie egoistische Ziele verfolgen und uns glauben machen wollen, dass sich alle Welt gegen uns verschworen hat; und das Serbien der Zukunft, das bei den massenhaften Demonstrationen des vergangenen Jahres in Belgrad hervorgetreten ist und fuer die Oeffnung unserer Gesellschaft und fuer Demokratie steht."

Vielleicht ist die Entwicklung, die sich da andeutet, auch der Hintergrund dafuer, dass sich zwei fuehrende Persoenlichkeiten der serbischen orthodoxen Kirche unerwartet eindeutig zu der Position von Bischof Artemije und Bruder Sava bekennen. Es sind Metropolit Amfilohije, den wir im Kloster in Cetinje getroffen haben, der alten Hauptstadt Montenegros, und Bischof Irinej von der Dioezese Backa, mit dem wir in seinem Bischofssitz in Novi Sad in der Voivodina zusammensassen. Beide gehoeren der obersten Kirchenleitung an, dem Heiligen Synod, und bekraeftigen, was uns Patriarch Pavle sehen in Belgrad gesagt hat: Das Kosovo-Problem muss auf politische und gewaltfreie Weise geloest werden, und zwar so, dass auch die Albaner im Kosove alle Rechte und Moeglichkeiten haben, um auf der Grundlage von Frieden, Gerechtigkeit und Wahrheit mit anderen zusammenzuleben.

Es wird eine wesentliche Aufgabe der Konferenz Europaeischer Kirchen sein, herauszufinden, wie das Miteinander der Kirchen in Serbien und Deutschland beitragen kann, im Kosovo Frieden zu schaffen und zu bewahren. Zunaechst muessen jene Kraefte in der serbischen orthodoxen Kirche gestaerkt werden, die als Fuersprecher des Friedens oft die einzigen sind, die inmitten von Hass und Gewalt mit vertrauensbildenden Aktionen Zeichen der Hoffnung setzen.

http://www.decani.yunet.com

Quelle: der Ueberblick 3/98, Seite 40


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