Dieses Logo/Emblem ist als Gebrauchsmuster rechtlich geschützt www.chrislages.de
Christlich-Islamische Gesellschaft e.V.
Home    CIG - Wir über uns    Kontakt    Dialog    Aktuell    Archiv    Suchen    Veranstaltungen    Literatur    Links

Unsere christlich-islamische Zusammenarbeit

Bevor ich mit meiner Familie im November 1977 nach Marl kam, lebten wir in Bochum, wo ich als Studentenpfarrer in der ESG intensive und freundschaftliche Kontakte mit Palaestinensern, Iranern und Arabern, auch mit einigen Tuerken, hatte. Ueber Religion wurde so gut wie nie geredet - und wenn, in dem Sinne: "Hartmut, obwohl du Pastor bist, bist du ein guter Mensch. Christentum und Islam sind rueckschrittlich". Im Laufe der siebziger Jahre kamen allerdings ausgesprochen "islamische" Studenten auch nach Bochum. Einige von ihnen hatten spaeter hohe Funktionen unter Khomeini im Iran.

Beim Wechsel von Bochum nach Marl hatte ich das Vorurteil: Wenn du mit tuerkischen Familien in Deutschland zusammenarbeiten willst, halte dich an die saekularen Tuerken; denn die frommen Muslime sind rueckschrittlich. Die dort tonangebenden Hodschas bremsen die Integration und Oeffnung zur hiesigen Gesellschaft und Kultur. In vielen Jahren hat sich auch das Bild von Koranschulen leider nicht abgebaut, dass dort Kinder gepruegelt wuerden, graue Woelfe oder terroristische Nachfolgeorganisationen regierten.

Heutzutage bin ich gern engagiert im christlich-islamischen Dialog in der Begegnung mit Hodschas, muslimisch-tuerkischen Nachbarinnen und Nachbarn. Ich verbringe einen Teil meiner Zeit in diesem Bereich.

Weil Marler Erfahrungen offenbar auch fuer andere interessant sind, hat im Juni 1992 die Evangelische Kirche von Westfalen eine Fachtagung zum Thema "Christen und Muslime begegnen sich" durchgefuehrt. Bei der Einweihung der grossartigen neuerrichteten Moschee im September 1992 wurde ich von dem hiesigen Moschee-Vorstand um ein Grusswort gebeten.

Im November 1992 setzte sich der Hodscha zusammen mit muslimischen und christlichen Frauen beim Bischof in Muenster dafuer ein, dass die drei Schwestern der "Hiltroper Missionsschwestern" in der benachbarten, sehr dialogfreudigen katholischen Pfarrei St.Konrad bleiben konnten. Ende 1993 fand ein Aktionstag zum Frieden auf dem Balkan und gegen Gewalt auch in Deutschland unter Beteiligung der Stadt, der evangelischen, katholischen und islamischen Gemeinden im Rathaus statt und Ende September 1993 wird aus diesem breit oekumenisch angelegten Geflecht von Freundschaft, Begegnung, Dialog und Vertrauen eine Tagung stattfinden zum Thema "Islam - Mystische Gesaenge und Koranrezitation".

Was ist moeglich in einer Stadt wie Marl?

Marl ist eine mittelgrosse Stadt mit cirka 90.000 Menschen, 3.500 stammen aus der Tuerkei oder sind deren Abkoemmlinge in der zweiten oder dritten Generation. Die Haelfte der deutschsprachigen Bevoelkerung ist katholisch, die andere Haelfte evangelisch. Unter den vielen tuerkischen Familien ist die Haelfte in der einen oder anderen Weise aktiv in einer der drei Moscheen in Marl. Massgebliche Institutionen und Personen in dieser Stadt sind fuer gutes Zusammenleben. Die Stadt Marl hat vor einigen Jahren im Rat offiziell und einstimmig beschlossen: "Friede in der Stadt" ist vorrangige Aufgabe.

Bestimmte Erfahrungen, Schritte und Institutionen sind zu erwaehnen: Zusammen mit deutschen und tuerkischen LehrerInnen organisierte meine Frau ab Winter 1977/78 Treffen mit tuerkischen Frauen und ihren Kindern in unserem Gemeindehaus. Ziel war: Menschliche Kontakte herstellen, Naehen, Deutsch lernen, ueberhaupt Lesenlernen, Erfahrungen aus dem Alltag besprechen und eroertern.

In anderen Stadtteilen dieser vielgliedrigen und doch insgesamt ueberschaubaren Stadt gab es seit den 70er Jahren aehnliche Initiativen. Das staedtische Jugendamt unterstuetzte kulturelle Integration, zunaechst im Kindergartenalter, dann auch in Schulen, Jugendheimen, Sportvereinen, Stadtbuecherei. Bei intensiven regelmaessigen Hausbesuchen wurden auch die tuerkischen Frauen der ersten Generation animiert, sich nicht zu verstecken, sondern sogar den Fuehrerschein zu machen. Es gab ausserdem sorgfaeltig vorbereitete Begegnungsfahrten in die Tuerkei.

Diese vielfaeltigen Initiativen fuehrten zur Gruendung des "Intercent", eines soziokulturellen Begegnungszentrums, zunaechst von der Krupp-Stiftung und spaeter von der Stadt finanziell gesichert. Dank des "Intercent" gab es Koordination und immer neue Unterstuetzung von Initiativen der Begegnung auf allen Ebenen.

In Marl konnte ein weiterer Schritt getan werden, als im Januar 1985 der damalige Buergermeister im Namen dieses "Intercent" zu einem "Runden Tisch" in die damals noch provisorische Moschee nach Marl-Hamm einlud "zum gegenseitigen Kennenlernen und zur Zusammenarbeit der christlichen Kirchen und der islamischen Institutionen". Mit dem laengerfristigen Ziel einer "Christlich-Islamischen Woche in Marl" wurde eine Arbeitsgemeinschaft gebildet: "Begegnung zwischen christlichen und islamischen Gemeinden". Sie existiert bis heute und hat 90mal getagt.

In der Zwischenzeit war ich zusaetzlich zu meiner Gemeindearbeit als Islambeauftragter im Kirchenkreis Recklinghausen auserkoren worden. Die Einrichtung von Islambeauftragten in der Evangelischen Kirche von Westfalen geht auf einen mutigen Landessynodenbeschluss im Herbst 1983 zurueck angesichts damals aufkommender Feindlichkeiten gegen Tuerken. Meine eingangs erwaehnten Vorurteile gegenueber dem Islam waren durch meine Teilnahme an einer Tuerkeireise und durch vielfaeltige Kontakte mit vielen lebendigen Menschen in Marl geschmolzen. Ausserdem durch ermutigende Meldungen von Freunden aus anderen Orten.

Personaler statt institutioneller Ansatz

Was ist das Besondere an unserer christlich-islamischen Arbeitsgemeinschaft in Marl?

Personen arbeiten zusammen. Wir sind fuereinander verantwortlich, die Loyalitaet untereinander ist staerker als irgendwelche Loyalitaet zu irgendwelchen Vorgesetzten oder Institutionen hoeheren Ortes.

Wir haben 150 Adressen aus allen Milieus auf unserem Verteiler: evangelische, katholische, islamische Gemeinden; Kindergaerten, Schulen, Betriebe, Stadtverwaltung, Presse, Parteien, interessierte Einzelne. Jeweils in deutscher und tuerkischer Sprache wird eingeladen. Im Laufe der Jahre ist persoenliche Naehe und Vertrauen gewachsen. Es besteht die Chance, offen und auch im Streit miteinander zu reden. Die Evangelische Stadtgemeinde Marl stellt Buerokapazitaeten und die Portokasse. Auch der Verein der Evangelischen Sozialseminare in Westfalen foerdert die Aufgaben des christlich-islamischen Dialogs in Marl. Die Tagesordnung jeder Sitzung hat moeglichst einen religioesen und einen sozialen Punkt.

Wir haben gemerkt, dass mit Hilfe des religioesen Gespraechs das Gespraech in Gang kommt ueber alle wichtigen Fragen zwischen Himmel und Erde. Es hat sich bewahrheitet, was Guenter Eckerland, der damalige Buergermeister, im Januar 1985 bei dem "Runden Tisch" im Blick auf die religioesen Vertreter gesagt hatte: "Ihr Religionsgemeinschaften habt eine besondere Kompetenz, die kein Wohlfahrtsverband und auch nicht die Arbeiterwohlfahrt hat. Bringt Euch ein zu den Themen, Fragen und Moeglichkeiten, die Ihr habt und niemand anderes."

Die religioes/interreligioesen Themen ergeben sich entweder aus dem Festjahr (Weihnachten, Ostern, Ramadan, Opferfest, Erntedankzeit) oder aus Anfragen von teilnehmenden Personen ("Was ist mit Abraham/Ibrahim?" "Was ist mit der Prophetie Mohammeds?" "Was sagt der Koran ueber Jesus?" "Was meint ihr Christen, wenn ihr Jesus Sohn Gottes nennt?"). Die sozialen/sozialpolitischen Fragen ergeben sich im Grunde genommen aus der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung.

Die Moschee

Im Laufe der Jahre ist der Kreis offen geblieben fuer immer neue Personen. Es herrscht bei den Gespraechen und der Arbeit ein Klima, in dem sich religioese Menschen ebenso angesprochen fuehlen wie skeptische oder religioes-ablehnende Personen.

Spaetestens seit dem Golfkrieg ist die christlich-islamische Arbeitsgemeinschaft ein bestaendiger Kristallisationspunkt fuer alle moeglichen Anfragen, Eroerterungen und Initiativen geworden im Sinne des Programms der Stadt "Frieden in der Stadt" - und erst recht im Herbst 1992 (nach Moelln).

Von grosser Bedeutung ist die gewachsene Konsolidierung der islamisch/tuerkischen Gemeinden in Marl, besonders durch die Vollendung der neuerrichteten Moschee. Aktionsvorschlaege aus saekularen Gruppen waehrend des schrecklichen Herbstes 1992 in Marl orientierten sich immer wieder an der Moschee, sie erweist sich als natuerlicher Ort, wo Besprechungen stattfinden koennen, Solidaritaetszeichen abgegeben werden koennen und so weiter. Nicht nur die Muslime unter den Tuerken sind selbstbewusst, dass sie es fertiggebracht haben, ihr Zentrum zu schaffen. Innerhalb der Bevoelkerung Marls wird neuerdings immer wieder mit Respekt und sogar Bewunderung auf die Schoenheit dieser Moschee hingewiesen.

Im Zusammenhang der christlich-islamischen Arbeitsgemeinschaft ist uns dabei immer wieder bewusst, wie kompliziert es gewesen ist, einen geeigneten Standort fuer einen Moscheeneubau ueberhaupt zu finden.

Es gab erschreckende Einsprueche von deutschen Nachbarschaftsvereinen bei zwei urspruenglich vorgesehenen Standorten. In den heftigen Diskussionen 1986/87 und 1988 um den Standort spielte unsere Arbeitsgemeinschaft die Rolle eines Vermittlers im Interesse des Baus einer Moschee.

Das kirchliche Umfeld

Die Verantwortlichen in den evangelischen Kirchengemeinden Marls sind den skizzierten Weg solidarisch und aktivbegleitend mitgegangen. Gleiches gilt von der katholischen Kirche. Ein einziges Mal kamen sehr kritische Rueckfragen aus eher evangelikalen Kreisen, als wir zum Ramadan 1988 ein Grusswort geschrieben hatten: "Als evangelische und katholische Christen sind wir mit Ihnen im Glauben an den EINEN Gott verbunden ...".

Der personale Ansatz traegt durch. Wir verstehen die Arbeit erklaertermassen im Sinne der abrahamitischen Oekumene. Das ist mehr als sich auf der Grundlage zusammenzutun, dass wir "nette Menschen" sind. Aufgrund des personalen (im Unterschied zum institutionellen) Ansatzes wissen alle Beteiligten, Gremien, Kirchen: Sie sind eingeladen, sich zu beteiligen und Positionen zu uebernehmen. Sie muessen aber nicht staendig mit allem einverstanden sein, was die Arbeitsgemeinschaft in Marl tut. Es besteht also Zusammenarbeit in Freiheit statt bestaendiger Legitimationszwang fuer die Akteure beziehungsweise fuer die kirchlichen Gremien.

Vier Thesen zu unserer Zusammenarbeit

"Wir erleben den Beginn einer historischen, keineswegs kurzlebigen Phase, in der soziale Konflikte und soziale Ungleichheiten ueberlagert werden durch Bilder von der ethnischen Ungleichheit und Ungleichwertigkeit der Menschen ... Ethnisierung meint einen sozialen Prozess, in dem das Anderssein des individuellen oder kollektiven Gegenuebers eine zunehmend staerkere Rolle spielt. Der antiliberale und antidemokratische Aspekt dieses komplizierten Vorgangs folgt aus der abwertenden, herabsetzenden, die eigene Bezugsgruppe ueberhoehenden ethnischen Etikettierung."
(Hans-Gerd Jaschke: Formiert sich eine neue soziale Bewegung von rechts? Folgen der Ethnisierung sozialer Konflikte, in Blaetter fuer Deutsche und Internationale Politik, Dezember 1992, Seite 1.441).
Unter diese Charakterisierung der "Ethnisierung" faellt die zunehmende Bedeutung religioeser Differenzen. Darauf weist er allerdings nicht ausdruecklich hin. Als Perspektive gibt er zu Recht an: "In Abkehr von der Konzentration auf die traditionellen Sozialmilieus verdienen kuenftig die vielerlei 'Gemeinschaften', Nachbarschaftsbeziehungen, Arbeits- und Freizeitbeziehungen, lokale Identitaeten etc. mehr Aufmerksamkeit. Ihre identitaetsstiftende Bedeutung ist groesser als vielfach angenommen."

Dass es in der Tat so ist, haben wir in Marl erlebt. In diesem Sinne geht es bei uns weiter.

Der Verfasser Hartmut Dreier ist Gemeindepfarrer in Marl/Westfalen. Er hat diese INTERNET-Veroeffentlichung erlaubt.

Quelle: evangelische aspekte 3/93 Seite 37 ff,
Vierteljahres-Zeitschrift der Evangelischen Akademikerschaft, Kniebisstr.29, 70188 Stuttgart, Telefon (0711) 28 20 15, Telefax (0711) 262 81 15.


www.chrislages.de
Der Internet-Service der Christlich-Islamischen Gesellschaft (CIG e.V.)

Impressum, Datenschutz und Haftung.

Email: info@chrislages.de