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Dipl.theol.Martin Bauschke, Am Planetarium 18, 07743 Jena

Begegnung mit dem Anderen - Herausforderung an uns selbst

Bericht von der Bendorfer Konferenz 1999

Im Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf bei Koblenz fand vom 15.-22.Maerz 1999 zum 26.Mal die Internationale Studentenkonferenz zur Begegnung von Juden, Christen und Muslimen statt. Alljaehrliche Mitveranstalter und -gestalter dieser Tagung sind ausser dem christlichen Hedwig-Dransfeld-Haus mit Ute Stamm das liberaljuedische Leo-Baeck-College in London unter Leitung des Rabbiners Prof Dr.Dr.Jonathan Magonet und die Deutsche Muslim-Liga in Bonn mit Sheikh Bashir Ahmad Dultz. Rund 110 Gaeste aus vielen Teilen der Welt nahmen an der zweisprachigen Konferenz teil.

Eine Besonderheit von Bendorf ist, ein Leitthema ueber mehrere Konferenzen hin jeweils unter einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Das derzeitige Leitthema "Tradition und Veraenderung" wurde 1999 zum drittenmal angegangen, und zwar unter dem Blickwinkel Encountering the Other - Challenging Ourselves. Begegnung mit dem Anderen - Herausforderung an uns selbst. Die jahrelange Dialogerfahrung hat gezeigt, dass es sinnvoll ist, pro Konferenz lediglich drei Hauptvortraege anzubieten. Die feministische Theologin und Londoner Rabbinerin Sheila Shulman betonte in ihrem Vortrag besonders die Relevanz der Unterschiede in der Begegnung. Diese Unterschiede sorgten fuer betraechtliches Konfliktpotential, das nur so verringert werden koenne, dass die Dialogpartner sich "so explizit wie moeglich" identifizierbar machten. Gleichzeitig wies Shulman auf die voellige Andersheit Gottes hin, welche die menschlichen Verschiedenheiten relativiere: "Was wir haben, ist unsere Wahrheit, nicht die Wahrheit. Gott als Gott ist der radikal Andere, den man nicht in einer einzigen, einzigartigen Vision erfassen kann. (...) Es gibt keinen (sc. legitimen) Anspruch auf Exklusivitaet und Universalitaet. Diese partikularistische Sprache ist die staerkste Anerkennung, die staerkste Gueltigkeitserklaerung, die ich kenne, dass es andere in der Welt gibt, die auch einzigartig und kostbar sind und geliebt werden und die die Beziehung zwischen dem Menschlichen und dem Goettlichen anders verstehen."

Die deutsch-amerikanische katholische Theologin und Angehoerige des Ordens Unsere Liebe Frau von Sion (NDS) Katherine E. Wolff thematisierte in ihrem bemerkenswerten Vortrag insbesondere die jeweils Andere in ihr selbst: sei es in kulturell-politischer Hinsicht aufgrund ihrer doppelten Staatsbuergerschaft, sei es in religioes-spiritueller Hinsicht infolge ihrer christlichen Erziehung auf der einen Seite und den juedischen Wurzeln, die sie ueber ihren juedischen Vater auf der anderen Seite besitzt. Diese andauernde Ambivalenz habe bei ihr zu starken Identitaetskonflikten gefuehrt: "Durch viele Jahre hindurch hat diese Gegenwart 'des/der Anderen' in mir selbst mir das Gefuehl gegeben, auseinandergerissen zu sein. Ich 'gehoerte' nirgends hin, und ich sehnte mich danach, dazuzugehoeren. Aber jedes Mal, wenn ich das Gefuehl hatte, in einer Gruppe von Menschen zu sein, zu denen ich gehoerte, erinnerte ich mich an eine andere Seite in mir selbst - und ich war nicht mehr 'zu Hause'. Jetzt habe ich endlich begriffen, dass meine Identitaet nicht davon abhaengt, zu einer bestimmten Gruppe oder an einen bestimmten Ort ausserhalb meiner selbst zu gehoeren." Immer wieder hat Wolff, die derzeit in Jerusalem lebt, vor der Frage der Konversion zum Judentum gestanden - doch gerade durch diese im Dialog evozierte Herausforderung zur Begegnung mit ihrer juedischen Herkunft hat sie sich je laenger je bewusster in ihrer christlichen Identitaet als Nachfolgerin Jesu erkannt.

Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrags von Katherine E.Wolff galt dem sich seit dem Zweiten Vatikanum wandelnden Selbstverstaendnis der roemisch-katholischen Kirche, ein Wandel, den sie nachdruecklich befuerwortet: "Wir sehen die katholische Kirche als Teil eines Ganzen, als Teil der Menschheit, die nach dem Sinn des Lebens sucht. In dieser Suche sehen wir die katholische Kirche als eine Gemeinschaft von Menschen, die eine spezifische Antwort auf diese Frage gibt." Wie die juedische Theologin Shulman, so erteilt auch die christliche Theologin Wolff jeglichem religioesen Triumphalismus eine klare Absage: "Mir scheint, die katholische Kirche wird demuetiger. (...) Vieles in der katholischen Theologie ist jetzt sehr viel weniger Christus-zentriert und sehr viel mehr Gott-zentriert. Gott ist viel groesser geworden und ist nicht mehr sozusagen auf den innerkatholischen Bereich 'beschraenkt'." Positiv ist schliesslich an diesem Vortrag zu bemerken, dass Wolff im Unterschied zu den christlichen Rednerinnern der beiden Vorjahre wenigstens ansatzweise fuer sich persoenlich auch den Dialog mit dem Islam anvisiert hat. Aufgrund ihrer Biographie wie auch ihres religionstheologischen Inklusivismus besitzt sie weniger Scheu als viele andere Theologen (besonders in Deutschland), sich mit vollem Ernst und ganzem Einsatz auch dem Islam als einer universalen Offenbarungsreligion nach Christus zu stellen.

Den islamischen Vortrag hielt Peter Schuett, der als freier Schriftsteller in Hamburg lebt und vor etwa 10 Jahren zum Islam konvertierte. Schuett ging vor allem der Frage nach, inwiefern die Muslime in Deutschland von den Erfahrungen der Juden in und mit Deutschland lernen koennten (Fn1). Ausgangs- und staendiger Bezugspunkt der Ausfuehrungen Schuetts ist ein juedisch-christlich-islamisches Treffen vom Januar 1999 in Hamburg, das auf Vermittlung des Deutschen Orientinstitutes und der Katholischen Akademie in Hamburg zustandegekommen war, und an dem neben Schuett selbst unter anderem Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Mehdi Razvi, langjaehriger Leiter der deutschsprachigen Gemeinde des Islamischen Zentrums Hamburg (bis 1995), und der Orientalist Kai Hafez teilnahmen. Im Anschluss an Bubis befuerwortet Schuett die Einbeziehung der Muslime in die alljaehrliche, bislang nur von Christen und Juden begangene "Woche der Bruederlichkeit". Schuett zufolge haben die Muslime als Minderheit in Europa aehnliche Erfahrungen wie die Juden gemacht. Wie Hafez ist Schuett der Ansicht, das gelte auch und gerade fuer Deutschland. Frueher wurden die Juden als Suendenboecke benutzt, heute werde der islamische "Fundamentalismus" als "Knueppel wider alles und jedes geschwungen. (...) Die Muslime werden nach dieser Logik verantwortlich fuer alles Schlimme und Boese gemacht, was in der islamischen Welt passiert" (66). Mithin taeten die Muslime in Deutschland gut daran, meinte Schuett im Anschluss an Razvi, "wenn sie die verlorene Spur der deutschen Juden aufnehmen und sich ihre Erfahrungen zu eigen machen" (67f). Dabei sollten die Muslime insbesondere "das furchtbare Ende der deutsch-juedischen Assimilation" mitbedenken (68). Voellige Anpassung, wie sie allenthalben von vielen heranwachsenden Tuerken der dritten Generation angestrebt wird, sei auch fuer Muslime bestimmt nicht die angebrachte Strategie. "Stattdessen sollten die Muslime um Integration bemueht sein, ohne ihre Identitaet preiszugeben" (68). Der Vortrag Schuetts stiess auf teilweise erheblichen Unmut (besonders von juedischer, aber auch von christlicher Seite). Wie immer man zu der grundsaetzlichen Frage steht, inwiefern sich Muslime spezifisch juedische Erfahrungen (besonders natuerlich der Shoah) ueberhaupt "aneignen" koennen, halte ich es fuer bedauerlich, dass Schuett, der im Unterschied zu den anderen Vortragenden zum erstenmal auf einer JCM-Fruehjahrskonferenz dabei war, nicht ueber seine eigenen Begegnungen mit Andersglaubenden und der Herausforderung, die diese Begegnung fuer ihn persoenlich bedeutet, reflektiert hat. So geriet sein Vortrag zu einem zwar kognitiv interessanten Referat ueber den Dialog, dem jedoch die existentielle Tiefendimension der Dialogerfahrung selbst weitgehend fehlte.

Neben den Vortraegen ist in Bendorf stets viel Zeit reserviert fuer die ganze Konferenz begleitende trialogisch gemischte Gespraechsgruppen, fuer die exegetische Arbeit an Texten aus den Heiligen Schriften (fuer die leider notorisch zu wenig Zeit zur Verfuegung steht) und fuer Workshops. Am Donnerstag Abend wehte ueber die TeilnehmerInnen der Tagung ein Hauch von orientalischer Wuestenkultur. Ein Bus hatte Schueler der Koenig-Fahad-Akademie, einer 1995 in Bonn eroeffneten Schule, die zugleich Moschee, Kultur- und Begegnungsstaette ist, nach Bendorf gebracht. Zu den Klaengen arabischer Musik tanzten die mit heimischen Gewaendern anmutig gekleideten Schueler einen Schwert- und zwei Stocktaenze. Alljaehrlicher Hoehepunkt der Tagungen sind die von Freitag bis Sonntag stattfindenden Gottesdienste, zu denen die Angehoerigen der jeweils anderen beiden Religionen stets miteingeladen sind. Bendorf ist nicht nur ein Ort, an dem ueber den Dialog der Religionen geredet wird. Sondern hier findet Dialog in einem umfassenden, ganzheitlichen Sinne statt. Es wird auch miteinander gefeiert, gebetet, gesungen und getanzt, was am intensivsten wohl Samstag abends beim Dhikr, dem gemeinsamen, vom Sufismus gepraegten "Gottgedenken" unter Leitung von Sheikh Bashir Dultz zu erleben ist.

Unter den in der Regel sehr tiefsinnigen Predigten im Rahmen der drei Gottesdienste sei exemplarisch ein Gedanke erwaehnt, den Halima Krausen, die jetzige Leiterin der deutsch-sprachigen Gemeinde des Islamischen Zentrums Hamburg, in ihrer Freitagspredigt unterstrich: dass Begegnung gerade ein Sinn der religioesen, kulturellen und menschlichen Vielfalt sei (mit Verweis auf Sure 49,13). Die Aufforderung des Korans, mit den Leuten der Schrift, insbesondere den Juden und Christen, nur "in der besten Art und Weise" zu streiten (Sure 29,46), kommentierte die islamische Theologin folgendermassen: "In der besten Art - das bedeutet, zumindest mit einer toleranten Grundhaltung, besser noch mit Respekt, vielleicht sogar mit Interesse und Sympathie. Denn die religioese Welt des anderen ist ebenso ein Heiliges Land wie meine eigene, und wenn wir genug Vertrauen entwickeln, dass mir mein Dialogpartner sein Heiliges Land zeigt, warum sollte ich nicht auch bereit sein, meine Schuhe auszuziehen?"

Ueberschattet wurde die Bendorfer Konferenz seit der zweiten Wochenhaelfte durch die sich zuspitzende Situation im Kosovo. Zwei Tage nach Abschluss der Konferenz begann die NATO mit ihren Luftschlaegen gegen Jugoslawien. Der amerikanische Politologe und langjaehrige Pentagon-Berater Samuel P.Huntington hat 1996 in seinem Buch "The Clash of Civilizations" unter anderem die vieldiskutierte These aufgestellt, dass Kriege in der neuen Epoche nach dem Ende des Kalten Krieges vorwiegend Kriege miteinander konkurrierender Zivilisationen sein werden. Was wir zu gewaertigen haetten, sei ein letztlich unvermeidlicher "Kampf der Kulturen" (so der Obertitel der deutschen Ubersetzung). Huntington scheint insbesondere darum bemueht zu sein, dem Westen nach dem Zusammenbruch des Sozialismus ein neues ideologisches Feindbild zu beschaffen, da fuer ihn offensichtlich Politik nur in einem Freund-Feind-Denken moeglich zu sein scheint. Das gilt seiner Meinung nach sogar fuer das Menschsein ueberhaupt: "Hassen ist menschlich. Die Menschen brauchen Feinde zu ihrer Selbstdefinition und Motivation (...)" (ebd. 202).

Wer dem Anderen begegnet und in ihm lediglich einen Feind sieht, der muss wohl hassen, um ueberleben zu koennen, politisch wie im privaten Lebensraum. Die Konferenzen von Bendorf bieten hingegen einen idealen Raum, dem Anderen so zu begegnen, dass ich mich durch das Anderssein des Anderen infragestellen lassen kann, ohne dadurch bedroht zu werden. Der und die Andere ist in der Tat wichtig fuer meine Selbstdefinition, fuer die Wahrnehmung und Vertiefung meiner Identitaet. Aber nicht so, dass ich nur bin und sein kann aufkosten (der Vernichtung oder Negierung) meines Gegenuebers. Sondern so, dass ich das, womit mich der Andere bereichern kann, kritisch und selbstkritisch in mich aufnehme und dadurch ein Stueck weit verwandelt werde. Der und die Andere ist eine Herausforderung, aber nicht zum Hassen, sondern zum Lieben, nicht zum Verachten, sondern zum Verstehen. Wenn wir diese Herausforderung, die in Bendorfs "heiler Welt" gleichsam wie in einem interreligioesen Trainingslager eingeuebt wird, nicht in unsere alltaegliche Lebenswelt hinaustragen und sie dort in die Tat umsetzen, koennte Huntington am Ende Recht behalten.

(Fn1) Der Vortrag ist auch erschienen in der Zeitschrift "Mut". Forum fuer Kultur, Politik und Geschichte, Nr.379, Maerz 1999, 63-69, unter dem Titel: Deutsche Muslime auf juedischer Spur? Die Zitate beziehen sich auf diese nachfolgende Veroeffentlichung.


Dr. Peter Schuett lebt als freier Schriftsteller in Hamburg. Er ist Mitglied im Hamburger Vielvoelkerforum und leitet dort den interreligioesen Dialog. Seit Mai 1995 veroeffentlicht Peter Schuett in MUT. Jetzt ist er als staendiger Mitarbeiter der Redaktion beigetreten. In seinem im MUT Verlag erschienenen und vielbeachteten Buch "Notlandung in Turkmenistan" (302 Seiten, gebunden, 38.- DM) erzaehlt er gleichnishaft von den Wirrungen und Wandlungen seines Lebens.

Peter Schuett:

Deutsche Muslime auf juedischer Spur?

"Ein bisschen fuehlen wir uns berufen, den in Deutschland lebenden Muslimen unsere Erfahrungen weiterzugeben, unsere guten, aber auch unsere bitterboesen Erlaehrungen als religioese Minderheit in einer christlich-deutschen Mehrheitsgesellschaft", erklaerte Ignatz Bubis auf der ersten gemeinsamen Konferenz zwischen dem "Zentralrat der Juden in Deutschland" und dem "Zentralrat der Muslime in Deutschland", die Ende Januar 1999 auf Vermittlung des Deutschen Orient-Institutes und der Katholischen Akademie in Hamburg stattfand. Es ging bei dieser ersten offiziellen Begegnung nicht zuletzt um die mehrfach wiederholte Anregung des juedischen Zentralratsvorsitzenden, die deutschen Muslime und ihre Verbaende in die Gestaltung der alljaehrlichen "Wochen der Bruederlichkeit" einzubeziehen, die bisher nur von Christen und Juden getragen wurden.

In den Kategorien der Sozialwissenschaft gehoeren die Juden zu den "alten Minderheiten", die Muslime zu den "neuen Minderheiten". Waehrend die aelteste juedische Gemeinde in Mitteleuropa bereits im Jahre 321 in Worms gegruendet wurde, sind die Muslime erst mit den Gastarbeiterstroemen aus den Mittelmeerlaendern in den sechziger Jahren in groesserer Zahl nach Deutschland gekommen. Zahlenmaessig gibt es zwischen Juden und Muslimen keinen Vergleich. Die Juden stellen mit weltweit 15 Millionen Glaeubigen nur eine sehr kleine Religionsgemeinschaft dar, waehrend der Islam mit seinen rund eine Milliarde Glaeubigen die zweitstaerkste Weltreligion nach dem Christentum bildet.

Trotz dieser Groessenunterschiede haben Juden und Muslime vor allem dort, wo sie in der Minderheit waren, also vor allem in Europa, vergleichbare Erfahrungen gemacht. Als 1492 mit Granada die letzte maurische Bastion auf der iberischen Halbinsel fiel, wurden Muslime und Juden gleichermassen Opfer der christlichen Reconquista. Falls sie sich nicht taufen liessen, mussten sie binnen Jahresfrist Spanien verlassen. Sonst drohte ihnen der Scheiterhaufen. Aehnliches wiederholte sich drei Jahrhunderte spaeter auf dem Balkan und in Suedrussland. Uberall dort, wo die Osmanische Schutzmacht zurueckgedraengt wurde, gerieten Juden und Muslime unter den Druck der neuen katholischen oder orthodoxen Herren. Die Muslime wurden Opfer ethnischer Saeuberungen, die Juden, die vor allem in den Staedten lebten, fielen grausamen Pogromen zum Opfer.

Der juedisch-islamische Vorrat an Gemeinsamkeiten beschraenkt sich nicht auf historische Lektionen, er ist vor allem theologisch begruendet. Juden und Muslime eint ein streng monotheistisches Gottesbild, das beispielsweise mit der christlichen Trinitaetslehre unvereinbar ist. Goetzenbildnerei in jeder Form ist verpoent, so dass in der juedischen wie in der islamischen Kunst der Spielraum fuer bildliche Darstellungen eng begrenzt ist. Beide Religionen kennen keine Kirche, keinen Papst, keinen Klerus und keine Hierarchie. Sie anerkennen keine Mittler zwischen Gott und den Menschen und koennen darum auf dogmatische Lehrgebaeude weitgehend verzichten. Fuer Juden und Muslime spricht Gott allein durch die Propheten zu den Menschen, und die Propheten sind fuer beide Religionen bis auf Jesus und Mohammed sogar dieselben: dem christlich-juedischen Abraham entspricht bei den Muslimen Ibrahim, Noah entspricht Nuh und Moses Moussa. Den Muslimen gilt das Judentum wie auch das Christentum als "Religion des Buches", und in ihren Augen sind vor Gott alle Buchreligiooen gleichermassen "echte Ringe" - anders als in Lessings Ringparabel, nach der der einzig "echte Ring" verlorengegangen und durch drei schlechte Kopien ersetzt worden ist.

Vor allem in ritueller Hinsicht sind die Parallelen zwischen juedischem und muslimischem Glauben unuebersehbar Sie beginnen beim frommen Brauch der maennlichen Beschneidung, reichen ueber die nahezu identischen Speisegebote und die Vorschriften fuer die Behandlung der Schlachttiere und enden erst bei den ins Detail gleichen Bestattungsritualen. Juden und Muslimen gilt die Grabesruhe gleichermassen als unantastbar, und darum bestehen beide Religionsgemeinschaften auf dem ewigen Ruherecht fuer ihre Toten. Die Uebereinstimmungen sind religionsgeschichtlich begruendet. Der erste und vorbildliche "islamische Staat", den der Prophet Mnhammed in Medina begruendete und leitete, war in Wirklichkeit eine multireligioese Stadtrepublik, in der die juedischen Sippen und Staemme sogar die groesste Gruppe bildeten. Die ersten Muslime haben sich zunaechst sogar in Richtung Jerusalem zum Gebet verneigt, erst spaeter wurde das Gemeinscbaftsgebet nach Mekka ausgerichtet. Viele Jahrhunderte lang haben Juden und Muslime im ganzen Orient im grossen und ganzen friedlich zusammengelebt.

Bis heute gibt es vor allem in der Tuerkei "Juedische Muslime". Es handelt sich um die Nachkommen der Anhaenger des Sabbatai Zwi, den viele Juden im 17.Jahrhundert fuer den erwarteten Messias hielten und der 1666 zum Islam uebertrat. Die Sabbatianer, die bis heute eigene Moscheen und Friedhoefe unterhalten, verstehen sich nach wie vor als Juden und bemuehen sich darum in der Gegenwart auch um eine Verbesserung der tuerkisch-israelischen Beziehungen. In Israel konnten sie kuerzlich ein Informationsbuero eroeffnen.

Auch deutsche Juden waren von der Welt des Islam fasziniert. Allen voran Heinrich Heine. Fuer ihn sind die alten Hebraeer und Araber Blutsbrueder, und er hat die juedisch-islamische Symbiose im maurischen Andalusien nicht nur in seinem Drama Al-Mansor, sondern in einigen seiner schoensten Balladen gefeiert. Else Lasker-Schueler erdichtet sich einen mystischen Orient, in dem sich Juden und Muslime gemeinsam vor den Patriarchen verbeugen. Elias Canetti schildert in seinen Stimmen von Marrakesch in wie guter Nachbarschaft Juden und Muslime im alten Orient zusammengelebt haben. Aehnliches erzaehlt der Satiriker Gabriel Laub in seinen Kindheitserinnerungen. Laub war als kleiner Junge zusammen mit seinen Eltern aus der polnischen Heimat ins usbekische Samarkand geflohen und war dort als Beschnittener und Schweinefleischveraechter von den muslimischen Mitschuelern sofort als ihresgleichen aufgenommen worden. In der gesamten arabischen Welt kennt und verehrt man bis heute Muhammad Asad, den Autor der faszinierenden Autobiographie Der Weg nach Mekka. Asad wurde 1900 als Leopold Weiss in Lemberg geboren. In den zwanziger Jahren berichtete er fuer die Frankfurter Zeitung aus dem Nahen Osten. Er trat spaeter zum Islam ueber, wurde Berater des saudischen Koenigs und schliesslich UNO-Botschafter fuer Pakistan.

Doch das Thema ist sehr facettenreich. Neben Zeugnissen fuer die gegenseitige Anziehungskraft der beiden Religionen stehen ebenso Belege dafuer, wie sehr sich die Glaeubigen einander fremd und feind geworden sind - nicht nur in Hebron, wo am Grab der gemeinsam verehrten Patriarchen wiederholt Blut geflossen ist. Der Nahostkonflikt ueberschattet auch in Deutschland das Verhaeltnis von Juden und Muslimen. Die unterschiedlichen Loyalitaeten versperren den Blick auf die Gemeinsamkeiten. Auf beiden Seiten sind fundamentalistische Agitatoren am Werk, die den Hass auf die andere Glaubensgemeinschaft zu schueren versuchen. Von den juedischen Orthodoxen wird der altboese Verdacht genaehrt, die Muslime haetten ihre Religion dem auserwaehlten Volk Gottes gleichsam gestohlen. Umgekehrt verbreiten islamische Extremisten unter Berufung auf einen missverstandenen Koranvers die Ansieht, die Juden haetten ihren Glauben verraten und seien zu Polytheisten geworden.

Doch schwerer als theologische Verdammungsurteile fallen vermutlich offen antisemitische Toene oder Untertoene ins Gewicht, wie sie zumindest in einigen islamistischen Publikationen an den radikalen Raendern zu finden sind. Die Marburger Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann hat in ihrer fundierten, im letzten Jahr im Herder-Verlag erschienenen Studie Muslime in Deutschland dafuer Belege gesammelt, die kaum zu bestreiten sind. So sind hin und wieder - auf Buechertischen in Moscheen im Umfeld der tuerkischen Islamisten - dubiose in Oesterreich verlegte Ausgaben der gefaelschten Protokolle der Weisen von Zion aufgetaucht. Von dort kommt auch eine Postille namens explizit. Das politische Magazin fuer ein islamisches Bewusstsein. Das Blatt behauptet von sich, "nicht antijudaisch, sondern nur antizionistisch" zu sein. Doch wer in einer einzigen Ausgabe Hetzartikel gegen Netanjahu und seine "zionistischen Helfershelfer" von Arafat ueber Clinton bis Khatami liest, der muss sich fragen, ob hier nicht in Wahrheit unbelehrhare Rechtsradikale versuchen, ihr Sueppchen auf einer islamischen Flamme zu kochen.

Auf seiten des "Zentralrats der Muslime in Deutschland" hat man die Gefahr einer Unterwanderung durch rechtsradikale Antisemiten erkannt und versucht, entsprechend gegenzusteuern. Wie sensibel man in diesem Problembereich mittlerweile geworden ist, zeigt die Haltung der deutschen Islamverbaende zur aktuellen Kontroverse um den franzoesischen Islamkonvertiten Roger Garaudy. Sein Buch ueber die Gruendungsmythen des Staates Israel war in Frankreich verboten und sein Autor als Auschwitzleugner zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Dagegen hat es in Teilen der arabischen Welt heftige Proteste gegeben. Obwohl von arabischer Seite dazu aufgefordert, haben sowohl der "Zentralrat der Muslime" wie auch der konkurrierende, von Milligoerues beeinflusste "Islamrat" darauf verzichtet, eine Stellungnahme zugunsten der Thesen von Garaudy abzugeben.

Die Erkenntnis waechst bei Juden wie bei Muslimen, dass die antisemitischen Vorurteilsstrukturen die Angehoerigen beider Religionsgemeinschaften in aehnlicher Weise - wenn auch zeitversetzt - betreffen. Islamfeindlichkeit, so stellte der Orientalist Kai Hafez in seinem Einleitungsreferat zur Hamburger Begegnung fest, trete heute nicht nur in der deutschen Oeffentlichkeit als eine neue Variante des Antisemitismus in Erscheinung. So wie frueher die Juden als Suendenboecke benutzt wurden, werde heute der islamische "Fundamentalismus" als Knueppel wider alles und jedes geschwungen. Wurde frueher das Schreckgespenst einer juedisch-bolschewistischen Weltverschwoerung an die Wand gemalt, so wird heute systematisch die Angst vor der "islamischen Bombe", dem "islamischen Terrorismus" oder "Heiligen Krieg" geschuert. Die Muslime in Deutschland werden nach dieser Logik verantwortlich fuer alles Schlimme und Boese gemacht, was in der islamischen Welt passiert. Dagegen kommt kaum jemand auf die Idee, die hiesigen Juden fuer Ubergriffe israelischer Siedler oder die Katholiken fuer die christlichen Militaerdiktaturen in Lateinamerika haftbar zu machen. Gab es schon vor der Nazizeit einen weitverbreiteten Salon-Antisemitismus, so ist auch heute ein liberaler Anti-Islamismus in weiten Kreisen, auch gerade unter Linken, durchaus salonfaehig.

Waehrend die Juden heute meistens mit positiven Klischees belegt werden - sie gelten allesamt als fromm, reich und intelligent -, treffen die Muslime durchweg negative Stereotype. Beide Formen der Diskriminierung erzeugen die Vorstellung vom Fremd- und Anderssein. Juden und Muslime werden zu Orientalen gestempelt, obgleich sie seit Generationen in Deutschland leben. So heisst es in Deutschland meistens "Juden und Deutsche" oder "Muslime und Deutsche", aber seltener ist von "deutschen Juden" oder "deutschen Muslimen" die Rede. Aeussere Merkmale - frueher der juedisch-orthodoxe Kaftan, heute das Kopftuch der frommen muslimischen Frauen - werden gern benutzt, um einen "Zusammenstoss der Kulturen" im kleinen zu konstruieren.

Die Ressentiments gegen Juden und Muslime haben dieselben Wurzeln. Das Problem in Deutschland. so Ignatz Bubis, sei nicht Auslaender- sondern Fremdenfeindlichkeit. Gegen Osterreicher, Schweizer oder weisse Amerikaner habe niemand etwas einzuwenden, obgleich auch sie Auslaender seien. Abgewehrt wird dagegen alles, was fremdartig erscheint. Dieser Eindruck des Fremden wird vor allem an der Religion des anderen ausgemacht, obgleich der Glaube ansonsten im oeffentlichen Bewusstsein kaum eine Rolle spielt. Schon als Ignatz Bubis in Moelln vor der ausgebrannten Ruine stand, aeusserte er die Vermutung: "Sollte es in Deutschland noch einmal wieder zum Pogrom kommen, dann sind nicht wir Juden die Opfer - wir sind dazu nach dem Holocaust viel zu wenige -, dann werden es die Tuerken und die Muslime sein!"

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Ignatz Bubis den in Deutschland lebenden Muslimen mit seinem Angebot zur Zusammenarbeit so weit entgegengekommen ist. Auf islamischer Seite sind seine Vorschlaege nicht ueberall auf Gegenliebe gestossen, aber sie haben in vielen Gemeinden und Verbaenden intensive und zum Teil kontroverse Diskussionen ausgeloest. Durchweg ein positives Echo haben die Ausserungen des juedischen Zentralratsvorsitzenden zum Kopftuchstreit um Fereschte Ludin gefunden. Bubis hatte sich eindeutig fuer die vom Schuldienst suspendierte Lehrerin eingesetzt, "nicht weil ich Sympathien fuer eine bestimmte religioese Richtung habe. Nein, weil ich der Meinung bin, dass Kleiderfragen Privatsache und nicht Staatsangelegenheit sind, auch nicht in der Schule. Eine saekulare Demokratie kann ihren Buergern im Gegensatz zur Theokratie keine Kleiderordnung vorschreiben." Bubis hat zugleich beiden Seiten empfohlen, den Streit "niedriger zu haengen" und statt nach Frankreich lieber in die USA zu schauen: "In Amerika wohnen orthodoxe Juden mit Schlaefenlocken, fromme Muslimfrauen im Tschador und altchristliche Amische in Lederhosenlook Tuer an Tuer, ohne dass irgend jemand Angst vor Ueberfremdung haette."

Es ist bemerkenswert, dass die hiesigen Muslime nicht nur ueber ihr Verhaeltnis zu den hier lebenden Juden diskutieren, sondern sich auch in zunehmendem Masse an einer urdeutschen Debatte beteiligen, dem Streit um die Errichtung der Holocaust-Gedenkstaette in Berlin. Es mehren sich die Stimmen derer, die sich aus erklaert islamischer Grundposition fuer den Bau eines Mahnmals fuer die von Hitler ermordeten Juden einsetzen. Den Anstoss hat moeglicherweise der buendnisgruene Bundestagsabgeordnete Cem Oezdemir gegeben. Er hatte schon vor einiger Zeit geaeussert: "Es ist nicht so, dass mich als Neubuerger dieses Landes dieser Streit nichts angeht. Gerade als Neneingebuergerter moechte ich wissen, wie Deutschland mit den Lehren aus seiner Vergangenheit umgeht. Von deutscher Schuld weiss ich nichts, aber warum sollte ich nicht die vernuenftigen Lehren aus der Geschichte meiner neuen Heimat uebernehmen!"

Eine aehnliche Position vertritt der Arzt Ilyas Oezdemir, Redakteur der muslimischen Studentenzeitschrift "Dunia". Er habe mit der Annahme der deutschen Staatsbuergerschaft zwar nicht das deutsche Trauma geerbt, aber er habe die gemeinsame Verantwortung aller Deutschen dafuer uebernommen, dass sich ein solches Verbrechen. wie es an den Juden geschehen ist, nicht wiederholen kann, in Deutschland nicht und anderswo nicht. Darum sei er aus muslimischer Verantwortungsethik fuer ein wuerdiges Holocaust-Mahnmal.

Die aus Bosnien stammende muslimische Schriftstellerin Emina Kamber plaediert aus anderen Gruenden fuer die Gedenkstaette: "Der Buergerkrieg in meiner Heimat hat bewiesen, dass das, was den Juden in der Nazizeit angetan wurde, auch den Muslimen droht, falls das Weltgewissen dem Morden keinen Einhalt gebietet. Schon darum bin ich dafuer, dass den Juden in der deutschen Hauptstadt ein unuebersehbares Denkmal errichtet wird." Die aus Tunesien stammende Soziologin Fatma Sellami, Mitarbeiterin des DGB in Hamburg, aeusserte sich sogar zu den aesthetischen Aspekten des vorliegenden Entwurfs: "Wir Muslime haben ganz aehnlich wie die Juden Probleme mit der allzu drastischen bildlichen Darstellung, vor allem die Darstellung des Schreckens widerstrebt uns. Mir gefaellt darum die verhaeltnismaessig abstrakte Loesung des Eisenman-Modells ausgezeichnet." Skeptischer gegenueber dem ganzen Projekt aeusserten sich lediglich einige aeltere Mitglieder der schon seit Anfang der fuenfziger Jahre bestehenden "Deutschen Muslim-Liga", die eine "unnoetige Zurschaustellung deutscher Schuldkomplexe" befuerchten.

Nach der Ansicht von Mehdi Razvi, dem langjaehrigen Imam an der schiitischen Imam-Ali-Moschee an der Hamburger Aussenalster, tun die Muslime gut daran, wenn sie die verlorene Spur der deutschen Juden aufnehmen und sich ihre Erfahrungen zu eigen machen. "Ihre Geschichte", erklaerte er kuerzlich auf einem Treffen deutschsprachiger Muslime, "ist fuer uns ein einzigartiges Lehrstueck, im Guten wie im Schlechten. Die Juden haben uns ueber tausend Jahre lang vorgelebt, welche wunderbaren Moeglichkeiten eine intellektuell und spirituell lebendige Minderheit haben kann, trotz mancherlei Bedraengnisse. Die deutschen Juden waren vor allem im vorigen Jahrhundert das Salz und der Sauerteig im kulturellen Leben. Davon koennten wir uns als Muslime eine ganze Menge abschneiden." Allerdings sollten die Muslime auch das furchtbare Ende der deutsch-juedischen Assimilation mitbedenken. Verschmelzung sei sicher nicht der richtige Weg. Stattdessen sollten die Muslime um Integration bemueht sein, ohne ihre Identitaet preiszugeben. Dass Selbstverleugnung nie zu etwas Gutem fuehren kann, habe - so Razvi - auch das bosnische Beispiel gezeigt.

Auch Nadeem Elyas, Sprecher des Zentralrates der Muslime, aeusserte seine Bereitschaft, "von den Erfahrungen der Juden in Deutschland zu lernen". "Wir wollen", erlaeuterte er waehrend der Hamburger Begegnung, "keinen Obstbrei, kein Multikulti-Muesli. Insofern werden wir auch einige unserer gruenen Freunde enttaeuschen muessen. Wenn wir uns schon auf die kulinarische Ebene herabbegeben, dann wollen wir einen Obstsalat, in dem jede Frucht ihre eigene Form und ihren eigenen Geschmack behaelt. Wir traeumen nicht von einer konfliktfreien, sondern einer konfliktfaehigen Gesellschaft." Die koenne es, entgegnete Ignatz Bubis, fuer ihn nur in einem "demokratischen und saekularen Rechtsstaat" geben, nicht in einer "theokratischen Ordnung, gleich ob sie juedisch, christlich oder musliniisch fundiert" sei.

Nachdem sich Juden und Muslime in Deutschland jahrzehntelang kaum etwas zu sagen hatten und nur fluechtig voneinander Notiz nahmen, kommen sich jetzt die Angehoerigen beider Religionsgemeinschaften spuerbar naeher. Auch die Namensgebung des 1994 offiziell konstituierten "Zentralrats der Muslime in Deutschland" belegt die enge Anlehnung an das juedische Organisationsmodell. Im letzten Herbst haben der Zentralrat der Juden, der Zentralrat der Muslime und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Aktion des guten Willens aufgerufen: "Lade Deinen Nachbarn ein in Dein Haus!" - eine Initiative. die vor allem in den Neuen Bundeslaendern von der amerikanisch-juedischen Anti-Defamation-League unterstuetzt wurde. Bei derartigen Annaeherungsversuchen leisten die evangelische und die katholische Kirche wichtige Hilfestellung und wirken manchmal regelrecht als Scharnier. Bereits seit 25 Jahren arbeitet die "Staendige Konferenz von Juden, Christen und Muslimen in Europa (JCM)", die im Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendort am Rhein ihren deutschen Sitz hat und zweimal im Jahr dort Fachtagungen durchfuehrt. Die Bedeutung der Holocaust-Erfahrungen fuer die Glaeubigen aller drei abrahamitischen Religionen stand wiederholt im Mittelpunkt der Beratungen, und mehrfach haben sich die Teilnehmer fuer die Errichtung einer Gedenkstaette fuer die ermordeten Juden ausgesprochen. Im Kloster Kirchberg in Sulz am Neckar finden seit Anfang der neunziger Jahre regelmaessig die "Kirchherger Gespraeche" zwischen Juden, Christen und Muslimen statt. Bei der letzten Begegnung kurz nach der Bundestagswahl ging es vor allem um die Alltagssorgen juedischer und muslimiseher Mitbuerger- vom koscheren oder halalgeschlachteten Fleisch ueber die Gestaltung der religioesen Feste bis hin zur Wahl des richtigen Friedhofs. Die Diskutanten registrierten gegenueher der neuen Bundesregierung einen betraechtlichen Handlungsbedarf und unterstuetzten namentlich die Forderung der Muslime nach einer praktikablen Regelung des Religionsunterrichts.

Gelegentlich ist es auch zu direkten Kontaktaufnahmen ohne christliche Vermittlung gekommen. Ein erstes Signal kam 1992 aus Koeln: Dort hatte zum Tag der deutschen Einheit eine tuerkische Moschee einen Repraesentanten der juedischen Gemeinde, Guenther B.Ginzel, zu einem Vortrag ueber die Einheit und Vielfalt der Religionen eingeladen. Im gleichen Jahr erinnerten in Hamburg und in Berlin juedische und islamische Gemeinden gemeinsam an den 500.Jahrestag der Vertreibung der Juden aus Spanien und ihrer Aufnahme durch das Osmanische Reich. In der Hamburger Kirchenruine St. Nicolai, einer Gedenkstaette fuer die Opfer von Faschismus und Krieg, fand im vergangenen Herbst eine Ausstellung ueber die Juden in der Tuerkei statt, die von der juedischen Gemeinde in Verbindung mit tuerkischen Verbaenden und Moscheen getragen wurde. Ehrengast war der ueber achtzigjaehrige tuerkische Diplomat Selahattin Uelkuemen. Er hatte als tuerkischer Generalkonsul auf der von deutschen Truppen besetzten griechischen Insel Rhodos fast hundert Juden vor der Deportation nach Auschwitz gerettet und wurde als erster Muslim mit einer Tafel und einem Baum in der Jerusalemer Gedenkstaette Yad Vaschem geehrt.


Wo Religionen sich begegnen

Ueber 25 Jahre Konferenzen von Juden, Christen und Muslimen
von Bruno Sonnen (Text) und Eugen Reiter (Fotos)

"Natuerlich ist Bendorf eine Insel", sagt Professor Jonathan Magonet. "aber es ist auch Modell. Bendorf zeigt, dass Begegnung ueber religioese und sonstige Grenzen hinweg moeglich ist."

Jonathan Magonet ist Rabbiner, kommt vom Leo-Baeck-College in London und gehoert zu den Pionieren eines Unternehmens. das in Zusammenarbeit mit der "Staendigen Konferenz von Juden, Christen und Muslimen in Europa" seit nunmehr einem Vierteljahrhundert im Hedwig-Dransfeld-Haus (HDH) in Bendorf stattfindet: die Juedisch-Christliche-Muslimische Studentenkonferenz (JCM). Einst gegruendet, um in Europa eine Gelegenheit zur Begegnung zwischen Mitgliedern der drei Glaubensgemeinschaften zu geben, veranstaltet JCM zwei jaehrliche Tagungen im Bendorfer Hedwig-Dransfeld-Haus, eine Fruehjahrstagung fuer Studentinnen und Studenten, Lehrerinnen und Lehrer, Dozentinnen und Dozenten theologischer Disziplinen, Fachkraefte sozialer, paedagogischer, therapeutischer und beratender Berufe sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kirchlicher und religioeser Einrichtungen und am interreligioesen Dialog Interessierter; im Herbst eine spezielle Frauentagung. "Ziel war es dabei nie, Resolutionen zu verfassen", blickt Magonet zurueck. "uns ging es immer um den Dialog nach innen, das Gespraech und die Begegnung." Diese geschuetzte Atmosphaere habe dazu beigetragen. "dass im Lauf der Jahre auch Freundschaften zwischen den Teilnehmern entstanden sind und Themen aufgearbeitet werden konnten, die schwierig sind", erklaert Schwester Dr. Katherine Wolff, Mitglied der Gemeinschaft "Unsere Liebe Frau von Sion (NDS)", und auch seit vielen Jahren in Bendorf mit dabei. "Waehrend der Intifada haben wir auch darueber gesprochen", nennt die Sionsschwester aus Jerusalem ein Beispiel; und "auch waehrend des Golfkriegs kamen die Muslime", ergaenzt Magonet.

"Begegnung mit dem anderen - Herausforderung an uns selbst" steht in diesem Jahr als Ueberschrift ueber der Zusammenkunft vom 15.bis 22.Maerz 1999 in Bendorf, ein Thema, mit dem sich die Teilnehmer unter dem Motto "Tradition und Veraenderung" bereits im dritten Jahr hintereinander beschaeftigen. Grosse Lehrer in Judentum, Christentum und Islam, religioese Erziehung oder Probleme der Verstaendigung zwischen den Kulturen sind Beispiele ganz unterschiedlicher Themen frueherer Jahre.

Die Studienwoche ist gepraegt von in der Regel "nur" drei Vortraegen, Diskussions- und "Murmelgruppen", darueber hinaus wird viel Wert gelegt auf andere Kommunikations- und Ausdrucksformen wie Tanzen oder Malen. Zu den verschiedenen Gottesdiensten sind die Angehoerigen der jeweils anderen Glaubensgemeinschaften als Gaeste eingeladen und koennen daran teilnehmen, soweit sie glauben, dies tun zu koennen. "Gemischte Gottesdienste" gebe es nicht, betont Rabbiner Magonet, immer steht in Bendorf das Bemuehen im Vordergrund, auf die besonderen Beduerfnisse und Sensibilitaeten der teilnehmenden Gemeinschaften, etwa bei Speisevorschriften oder Gebetszeiten, zu achten. JCM verfuegt ueber keine hauptamtlichen Kraefte, vorbereitet werden die Tagungen jeweils von einem Planungsteam, zu dem in diesem Jahr unter anderem Stefan Hartmann von den Pallottinern in Vallendar und Ute Stamm vom Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf gehoerten. Zwar sind diesmal, anders als in frueheren Jahren, keine Anglikaner bei der Konferenz dabei, "dafuer aber viele junge Leute", freut sich Jonathan Magonet, dem es ein Anliegen ist, dass die Studenten seines Colleges "wenigstens einmal waehrend ihrer Studienzeit" an einer JCM-Tagung in Bendorf teilnehmen.

Wie stark die Tagungen in Bendorf vom Geist der Offenheit und des gegenseitigen Respekts gepraegt sind, wird blitzlichtartig auch in dieser Maerzwoche 1999 deutlich, als Peter Schuett, einer der Referenten des aktuellen Zusammentreffens, Geschichte und Situation von Juden und Muslimen in Deutschland beleuchtet und Ueberlegungen eines Vertreters des Zentralrats der Muslime in Deutschland zitiert, "von den Erfahrungen der Juden in Deutschland zu lernen". Angesichts der Einzigartigkeit des Holocausts haetten sie Schwierigkeiten mit dieser Formulierung, erklaeren juedische Konferenzteilnehmer.

Dass die JCM-Konferenz seit einem Vierteljahrhundert in Bendort tagt, dass Juden, Christen und Muslime sich im Hedwig-Dransfeld-Haus "zu Hause" fuehlen, ist kein Zufall. Nachdem der Katholische Deutsche Frauenbund das Anwesen am Bendorfer Stadtrand 1925 erworben hatte, wurde das nach der im Maerz 1925 verstorbenen Paedagogin und Politikerin Hedwig Dransfeld benannte Haus vor allem unter der langjaehrigen Leiterin Anneliese Debray (1911-1985) zu einer ueber die deutschen Grenzen hinaus bekannten Staette der oekumenischen Begegnung zwischen Menschen aus unterschiedlichen Laendern und verschiedenen Religionen. Sie gruendete auch den HDH e.V., um dem Ganzen eine tragende Struktur zu geben. Seit der Gruenderzeit darueber hinaus der Muettererholung und der Ausbildung junger Frauen verpflichtet, ist das HDH in Zusammenarbeit mit dem benachbarten Gussie-Adenauer-Haus, einem Muetterkurhaus, bis heute in der Muettergenesung engagiert.

"Das Bistum Trier kann stolz sein, auf seinem Territorium eine solche Einrichtung zu haben", sagt Scheich Bashir Ahmad Dultz, Vorsitzender der Deutschen Muslim-Liga Bonn eV. und in Bendorf seit vielen Jahren einer der Motoren im interreligioesen Dialog. Anders als der christlich-juedische Dialog sei der juedisch-muslimische Dialog bis heute selten in Deutschland; Bendorf bilde hier eine Ausnahme, sagt Dultz, der deutscher Staatsbuerger ist, als Mitglied eines Beduinenstammes ueber 30 Jahre in Nordafrika lebte, 1983 nach Deutschland zurueckkehrte und die zahlenmaessig kleine Muslim-Liga Bonn durch seine Toleranz und Offenheit zu einem gerade bei Nichtmuslimen stark beachteten Dialogpartner gemacht hat - die unter Islamisten deshalb nicht nur Freunde hat. Auf diese Weise manchmal zwischen allen Stuehlen sitzend, hofft der 1935 in Koenigsberg geborene Dultz dennoch unverdrossen darauf, "dass wir irgendwie zu Frieden finden". Die JCM-Wochen in Bendorf sind in dieser Hinsicht nicht nur Inseln - sie haben Modellcharakter.

Quelle: Paulinus, 28.Maerz 1999, Nr.13/Seite 17.

Ein weiterer Bericht, von Peter Schuett, findet sich in MUT, Heft Juni/1999.

In Al-Fadschr Nr.92/1999, Seite 39, findet sich ebenfalls ein Bericht (Ohne Verfasser-Angabe).


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